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Zitronenmelisse – gut für Laune, Lust und Libido?

Schon seit jeher findet die Zitronenmelisse “Melissa officinalis” in Europa, im Mittelmeerraum und im Nahen Osten vielseitige Anwendung.
Im Jahr 2006 erhielt sie dann auch den Ritterschlag zur “Heilpflanze des Jahres”1)https://www.apotheken-depesche.de/nachrichten/heilpflanze-des-jahres-2006/ und bereits 1988 hatte sie es zur “Arzneipflanze des Jahres”2)https://de.wikipedia.org/wiki/Arzneipflanze_des_Jahres geschafft. Auch aktuell erfreut sich die Pflanze zunehmend umtriebiger Forschungs- und Studien-Beliebtheit.

Stark gegen Angst und Unruhe

2011 führte eine internationale Forschergruppe eine Pilotstudie3)https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3230760/ an 20 Testpersonen durch (18 bis 70 Jahre alt, 6 Männer, 14 Frauen), die angegeben hatten, unter leichten, bis mittleren Angststörungen und Schlafproblemen zu leiden.

Man gab diesen Personen täglich 600mg von einem kommerziellen wässrig-alkoholischen Melissenblattauszug (standardisiert auf mindestens 7% Rosmarinsäure und 15% Hydroxyzimtsäuren). Die tägliche Dosis wurde auf zwei Kapselportionen morgens und abends aufgeteilt.

Ergebnis nach 14 Tagen: Das Gesamtempfinden von Angst war um 18%reduziert – was eine Verbesserung von einem ursprünglich leichtem bis mäßigen Angstempfinden bis zum späteren Fehlen messbarer Angst dargestellt hatte.

Ähnlich gewichtig war das Ergebnis zum Schlafverhalten. Alle Werte für Schlafstörungen waren am Ende der Studie stark reduziert. Die anfängliche Schlaflosigkeit nahm um 53%, die mittlere Schlaflosigkeit um 45% und Einschlafprobleme nahmen um 28% ab.

In anderen Worten dargestellt, sah das dann so aus:

Von den 20 Testpersonen gaben 14 an, dass ihre Symptome gänzlich beseitigt wären. 5 Personen fanden ihre Symptome deutlich reduziert und eine Person berichtete von einer lediglich geringfügigen Verbesserung.

Für eine Pflanze, die leicht zu halten ist, und deren Vorkommen weit verbreitet ist, sind das äußerst erstaunliche Ergebnisse.

Wie immer bei solchen Pilotstudien, bei denen es keine gegenübergestellten Placebo-Gruppen gibt, ist nicht auszuschließen, dass der Effekt auch anders zustande kam. Vielleicht war das klinische Personal ja einfach nur sehr nett zu den Leuten. Sowas kann ja auch beruhigen.

Melisse macht (zumindest Frauen) Lust auf Zweisamkeit

Methodisch interessanter ist dann doch vielleicht die folgende brandaktuelle Studie:
Iranische Wissenschaftler veröffentlichten 20184)https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5958328/ die Ergebnisse einer Doppelblindstudie, die sie mit 89 Frauen (18 bis 50 Jahre alt) durchgeführt hatten, denen gemeinsam war, dass sie ein mangelndes Interesse an Sex empfunden  hatten.

Bei dieser Studie wurde wässriger Extrakt aus getrockneten Blättern verwendet. Die Blätter waren zuvor in Wasser gekocht. Der Extrakt wurde konzentriert und dann in 500 mg-Kapseln gefüllt. Das Placebo wurde aus nur aus Stärke hergestellt.

Die Ergebnisse nach 4 Wochen klingen so verheißungsvoll, dass man vielleicht auch schon wieder Zweifel an der Seriosität anmelden könnte.

So zeigten die Frauen, die tatsächlich den Melissenextrakt erhalten hatten, nach 4 Wochen einen im Vergleich zur Kontrollgruppe starken Anstieg in Punkto sexuellen Verlangens, der Erregung, der Orgasmen, der Befriedigung, der Häufigkeit von Sex. Zudem berichteten die Frau auch eine Abnahme von allfälligen Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

Euphorie

Weniger wissenschaftlich, aber nicht weniger interessant, ist der Bericht eines Teilnehmers in einem Reddit-Forum, der von seinen eigenen Erlebnissen mit der Melisse berichtet. Wenn man sich den Beitrag durchliest, scheint der Berichtende eine besonders starke Affinität zu Benzodiazipinen (Benzos – verschreibungspflichtige Tranquilizer, die im Falle von Dauerkonsum sehr abhängig machen können, mit äußerst schwierigem Entzug). Er bemerkt dazu:

“Alleine verwendet, tritt nach Einnahme eines Tees/Vapes/Tinktur ein sehr seltsames, anregendes und dennoch entspannendes Gefühl ein.” Geistig würde sich das „irgendwo zwischen einem Nikotin- und Koks-Buzz“ anfühlen. Eine „nette, schnelle Euphorie, die etwa 1 – 2 Stunden anhält und aphrodisierend wirkt, was „mit wenigen pharmazeutischen Stimulanzien vergleichbar“ wäre.
Die „Muskeln werden sehr entspannt, als hätten man Benzodiazepine genommen und man wäre nicht im geringsten besorgt. Dieser Effekt dauert viel länger als der anfängliche Ansturm an, so um die 3-4 Stunden”.

Da sich der Mann offensichtlich mit Toleranzen und Süchten auszukennen scheint, empfiehlt er Unterbrechungen in der Einnahme von 2-3 Tagen.

Seine bevorzugte Zubereitungsmethode sind 20-30 (auch nicht gerade wenig) frische Melissenblätter in rund 20 Minuten nicht mehr kochendem Wasser ziehen zu lassen.

Für helle Köpfe

Doch zurück zur Wissenschaft:Bereits 2003 wurde im Magazin „Nature“ (Neuropsychopharmacology)5)https://www.nature.com/articles/1300230 ein Artikel veröffentlicht, der sich ausführlich mit den bereits seit der Antike dokumentierten mentalen Auswirkungen der Zitronenmelisse auseinandersetzte. Dabei wurden verschiedene Wirkstoff-Dosen an 20 Teilnehmern getestet und eine dosisabhängige Verbesserung der kognitiven Leistungen und des Stimmungsbildes festgestellt.

Vielleicht auch gegen Herpes?

Möglicherweise kennen Sie ja Berichte aus Ihrem Bekanntenkreis, dass das Anbringen des ätherischen Öls der Zitronenmelisse die rasche Abheilung von Herpesausbrüchen befördert. Bereits 1999 hat sich in Deutschland eine klinische Doppelblindstudie damit auseinandergesetzt. Dabei wurde ein Minze-Melissen-Balsam hergestellt und an Probanden, die an häufigen Herpesausbrüchen litten, getestet. Im Vergleich zur Placebogruppe wurde eine gute Wirksamkeit am zweiten Tag nach dem Ausbruch der Herpesattacke festgestellt.6)https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0944711399800130?via%3Dihub

Dazu gesellen sich eine Vielzahl anderer Studien, die immer zu ähnlichen Ergebnissen tendieren. 2016 hält daher eine wissenschaftliche Meta-Studie fest:
“Moderne pharmakologische Studien haben inzwischen viele traditionelle Verwendungen von M. officinalis bestätigt. Die Daten haben gezeigt, dass M. officinalis das Potenzial für die Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen hat, insbesondere von Angstzuständen und einigen anderen Erkrankungen des Nervensystems.”

Und da, wie in solchen Fällen üblich, die weitere klinische Erforschung als notwendig erachtet wird, können wir schon gespannt sein, was sich da noch alles tun wird.
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Ashwagandha für die Coolness

Das nächste Wundermittelchen, das vor allem das Interesse von Angstpatienten und Managern (vielleicht ist das ja dasselbe?) wecken könnte.

Ashwagandha ist ein Pflanze, die unter anderem, aber nicht nur, am indischen Subkontinent – dort wird sie traditionell am häufigsten eingesetzt – gedeiht. Ihre tonisierende und in höheren Dosen vor allem beruhigende Wirkung ist vergleichbar mit der von synthetischen Tranquilizern (Benzos etc.) oder Betablockern; irgendwie scheint die Wirkung dazwischen zu liegen.

Trotz der Effektivität von Ashwagandha wird von Toleranzentwicklungen nur selten berichtet.

Auffällig ist, dass die erhältlichen Ashwagandha-Präparate (zumeist konzentrierte Extrakte der Wurzel oder nicht konzentriertes Pulver aus der Pflanzenwurzel) sich durch deren Wirksamkeit stark unterscheiden. Manche Präparate scheinen überhaupt keine Wirksamkeit (oder sogar eine paradoxe Wirkung) zu entfalten, andere wieder eine sehr stark ausgleichend beruhigende. Offenbar ist Pflanze nicht gleich Pflanze und Anbieter nicht gleich Anbieter. Vielleicht hängt es auch mit den Aufzuchtbedingungen, Sonnenständen etc., oder im Falle von Extrakten mit dem jeweiligen Produktionsverfahren zusammen.

Im Allgemeinen gilt Ashwagandha als sehr sicheres Produkt. Experimentieren mit verschiedenen Präparaten und Mengen kann also durchaus sinnvoll sein (sofern man es sich leisten kann).

Manche User schildern, dass die beste Wirkung bei Einnahme von rund 10 Gramm reinen Wurzelpulvers (also kein Extrakt) im Sinne einer starken Beruhigung zu verspüren ist (ausgehend von rund 85 kg Körpergewicht). Wer keine Feinwaage hat: 10 Gramm sind ungefähr zwei Suppenlöffel, also nicht wenig.  Leider ist der Geschmack nicht übertrieben gut.

Withanolidgehalt berechnen

Wie kann man die wirksamen Inhaltsstoffe der erhältlichen Produkte  berechnen?

Obwohl sich die wirksamen Inhaltsstoffe in allen Teilen der Pflanze finden, beziehen sich die meisten kommerziell verfügbaren Produkte  ausschließlich auf die Wurzel. Die Hauptinhaltsstoffe von Ashwagandha, denen die pharmakologisch adaptogene Wirkung nachgesagt wird, sind die sogenannten Withanolide. Withanolide sind sekundäre Pflanzenstoffe, die vorwiegend in bestimmten Nachtschattengewächsen anzutreffen sind.

Feingemahlenes Wurzelpulver (kein Extrakt) enthält ungefähr 0,2% Withanolide. Bei 10 Gramm Wurzelpulver bedeutet dies ungefähr einen Gehalt von 22 Milligramm Withanoliden, die wirksam werden können.

Bei Extrakten kommt es auf den Extraktionsgrad an.
Wenn zB. eine Extraktkapsel (also nicht ein reines Wurzelpulver) von beispielsweise 450 Milligramm auf beispielsweise 3,5% standardisiert ist, ergibt dies rund 15,5 Milligramm Withanolide.

Aus prinzipiellen Erwägungen mögen manche Menschen vielleicht Extrakte ablehnen und das Pulver der ganzen Wurzel bevorzugen. Manche Anbieter bieten dieses Pulver auch in Kapseln an. Hat man eine Wurzelpulverkapseln  mit 500 Milligramm Wurzelpulver, dann entspricht dies nur einem geringen Anteil an Withanoliden. Bei 0,2% Withanoliden ergibt dies nur rund 1 Milligramm Withanolide pro 500 Milligramm Kapsel, was dem Autor dieser Zeilen bei akutem Bedarf doch sehr wenig erscheint.

Als Faustregel sollte gelten, dass das reine Wurzelpulver in wesentlich höherer Menge konsumiert werden muss, um eine spürbare Wirkung zu erfahren, als standardisierte Extrakte. Dafür hat man aber dann auch wirklich die Gesamtkomponente der Wurzel intus.

Viele User berichten, dass sie nach einigem Ausprobieren diverser Marken und Mengen, endlich Hilfe bei ihren Angstbeschwerden fanden. Nur zum Beispiel hier der Bericht eines Konsumenten, der sich über einen Zetraum von rund eineinhalb Jahren fortsetzt.

Manche Menschen berichten, dass die beste und schnellere Wirksamkeit beim gemeinsamen Konsum mit sonstigem Essen, eintritt.

Patentstreit

Bei Ashwagandha scheint es sich in vielerlei Hinsicht um eine hochwirksame Pflanze zu handeln. Das dürfte vor allem nordamerikanische Unternehmen bewogen haben, Patente auf die Pflanze anzumelden. Zwischen Indien und den USA scheint sich da ein regelrechter Patentstreit abzuspielen. Die Inder argumentieren sinngemäß, dass es ja nicht sein kann, dass amerikanische Firmen Patente auf Naturprodukte anmelden, die eh schon immer da waren und deren Wirksamkeit allgemein zum Teil seit Jahrhunderten bekannt ist.

Ashwagandha (Withania somnifera)

Voraussichtlich werden normale Kräuterchen, heimische wie ganz ferne, die nahe Zukunft in pharmazeutischen Patentkriegen darstellen. Die Pharmazeutische Industrie wird entweder ihre Wirksamkeit runterspielen oder versuchen doch gewinnträchtige Patente zu erlangen. Oder man lässt die Pflanze einfach verbieten, Beispiele gibt es ja genug.

Erwähnt werden könnte da zum Beispiel das absurde Brennesseljaucheverbot in Frankreich. Aber das ist ein anderes Thema.

Egal, ob Verbot oder nicht, Ashwagandha entwickelt sich immer mehr zu einem bedeutenden Businessfaktor in der Supplement- und Pflanzenindustrie. Daher muss man auch nicht unbedingt alles glauben, was über die Pflanze gesagt oder geschrieben wird. Vielleicht erklärt es aber auch die Unterschiede, die der Wirksamkeit verschiedener Anbieter zugeschrieben wird. Gemessen an der geringen Zahl der Anbieter noch vor wenigen Jahren, wird der Markt derzeit von Ashwagandha-Produkten geradezu überschwemmt. Und da sollte es uns nicht wundern, wenn das eine oder andere Produkt, sagen wir mal, nicht so hochwertig hergestellt wird.